500 Kinder unter zwölf Jahren wurden in Österreich bereits geimpft.

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Wien – Für Thomas M.* war es keine leichte Entscheidung. "Es war das Allerletzte, das ich mir gewünscht hätte", sagt der 36-jährige Vater heute. Obwohl er Bedenken hatte, entschied sich M. schlussendlich dafür, seine sechsjährige Tochter noch vor der offiziellen Zulassung des Impfstoffs impfen zu lassen. Er wälzte Studien, rechnete sich die Wahrscheinlichkeiten einer Infektion mit schweren Folgen durch und kam für sich zu dem Schluss: "Das ist nichts, was ich meiner Tochter zumuten will." Thomas M. ist Teil einer Gruppe von Eltern, die nicht mehr zuwarten wollen, bis die Impfung von der Europäischen Arzneimittelagentur zugelassen und vom Nationalen Impfgremium empfohlen wird. Ihnen ist das Risiko einer Infektion zu groß. Rund 500 Impfungen von unter Zwölfjährigen waren laut Auskunft der Pressestelle von Elga bis Mittwoch im elektronischen Impfpass eingetragen, 103 davon sind bereits vollimmunisiert.

Off-Label heißt nicht verboten

Rechtlich ist die Impfung von unter Zwölfjährigen zunächst kein Problem. "Off-Label-Use heißt die Verwendung eines Arzneimittels außerhalb der Zulassung", sagt Karl Stöger von der Uni Wien, der auf Medizinrecht spezialisiert ist. Off-Label-Use ist nicht verboten, die Ärztin oder der Arzt muss Off-Label-Use aber entsprechend gut begründen können. "Wenn etwas passiert, ist die Ausgangssituation eine andere, weil ich die Verantwortung dafür übernehme, dass man diesen Impfstoff ohne Zulassung sicher verwenden kann", sagt Stöger. Man arbeitet also jenseits der Zulassung mit einem Arzneimittel und muss daher entsprechend aufklären. Wenn dabei Komplikationen auftreten, gibt es deshalb auch haftungsrechtliche Konsequenzen. Einerseits greift die das Impfschadengesetz nicht, und auch der Hersteller haftet nicht.

Hannes Grünbichler hat sich trotz rechtlicher Bedenken ebenfalls für eine Impfung seiner Tochter vor der offiziellen Zulassung entschieden. Der 42-jährige Weizer sieht das Risiko einer Infektion als wesentlich höher an als das Risiko möglicher Nebenwirkungen einer Impfung. "Als Vater war mir klar, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Infektion gibt", sagt Grünbichler im Gespräch mit dem STANDARD. Ein warnendes Beispiel waren ihm Länder wie Großbritannien oder die USA, in denen die Infektionszahlen nach den Schulöffnungen rasant anstiegen, und so ließ er seine Tochter Anfang September zum ersten Mal impfen.

Grünbichler, der selbst Lehrer und Lehrergewerkschafter ist, kritisiert den mangelnden Schutz der Schulen. Er hätte sich ein strengeres Sicherheitskonzept, etwa bestehend aus flächendeckenden PCR-Tests und Luftfiltern in den Klassen, gewünscht, um Schülerinnen und Schüler zu schützen, bis allen ein Impfangebot gemacht werden kann. Mit einem solchen Konzept, sagt Grünbichler, hätten er und seine Frau mit Sicherheit bis zur offiziellen Zulassung gewartet. Angesichts der aktuellen Lage hat er sich an einen Arzt gewandt, dessen Kontakt er aus seinem Bekanntenkreis erhielt. Bei der Dosis orientierte man sich an den aktuell laufenden Zulassungsstudien von Biontech/Pfizer. Kinder bekommen eine geringere Menge des Impfstoffs. Nebenwirkungen oder starke Impfreaktionen hatten weder Grünbichlers Tochter noch M.s Tochter, die mittlerweile vollimmunisiert ist.

Christina Nicolodi ist keine Freundin von Off-Label-Impfungen. "Ein Off-Label-Use ist immer kritisch", sagt die Virologin und Impfstoffexpertin. Besonders bei Kindern sei Vorsicht geboten. Kinder seien nicht einfach "kleine Erwachsene", ihr Immunsystem verhalte sich anders. Generell befürwortet Nicolodi die Impfungen von Kindern und sagt, die Regierung und das Nationale Impfgremium müssten schon jetzt über Impfungen für Kinder aufklären: "Ich befürchte, dass sich sonst viele abschrecken lassen." Eine Off-Label-Impfung könne sie aber nicht befürworten und empfiehlt, auf die offizielle Zulassung zu warten, die sie für Ende dieses Jahres oder im ersten Quartal 2022 erwartet. Sie rechnet nicht mit "Überraschungen" bei Studien, 100-prozentig ausschließen könne man diese aber nie. "Ich verstehe es vollkommen, dass manche verzweifelt sind, dennoch sollte man versuchen, die Kinder bis zur offiziellen Zulassung anders zu schützen", sagt Nicolodi.

Impfung als Verzweiflungstat

Thomas M. wollte nicht mehr warten. "Es war keine Heldentat, es war eine Verzweiflungstat", sagt der Vater im Rückblick. Seine Entscheidung war nicht zuletzt eine Folge davon, dass die Politik in seinen Augen dabei versagt hat, die Schulen adäquat zu schützen. Trotzdem will er niemanden dazu aufrufen, es ihm gleichzutun, weil es eine individuelle Entscheidung sei. "Es ist richtig, dass es erst dann eine offizielle Empfehlung gibt, wenn auch das Nationale Impfgremium zu dieser Entscheidung kommt", sagt M. Es gebe aber auch Eltern, die ihr Kind jetzt schon impfen lassen wollen. Dabei sei es wichtig, dass sie nicht das Gefühl hätten, sie machen etwas Verbotenes, denn viele Eltern, so M., hätten jetzt schon gute Gründe, ihre Kinder impfen zu lassen. (Levin Wotke, 9.9.2021)